Wann ist eigentlich der richtige Moment für ein Gespräch? Kein Small-Talk oder Belangen loses "Wie war dein Tag"-Gespräch sondern eins mit Tiefe. Mit Gefühl oder über Gefühle. Nachts um zwei, nach dem fünften Bier, wenn man sentimental wird und gerade mutig genug ist, um auch heiklere Themen anzusprechen oder lieber ganz bewusst, Sonntags um 15:00 Uhr, mit Bauchweh und fast auswendig gelerntem Text, zurechtgelegten Worten.
Wir führt man so ein Gespräch? Wie beginnt man es? Mit einer von Alkohol gelockerten Zunge geht das wahrscheinlich wesentlich einfacher. Man sitzt zusammen, ein Thema folgt dem anderen und plötzlich spricht man es einfach an. Vielleicht verpackt man es etwas unverfänglicher und lustiger, als es eigentlich ist, um die lockere Situation nicht zu zerstören, aber man hat es endlich ausgesprochen und wenn es gut läuft, hat man sogar eine Lösung. Vielleicht küsst man sich, vielleicht verspricht man sich trotzdem befreundet zu bleiben, vielleicht geht man auch einfach wortlos. Oder lieber doch angekündigt, per Kurznachricht :
 "Hast du mal kurz Zeit für mich? Ich möchte mit dir sprechen", 
endloses Warten, Minuten fühlen sich an wie Stunden, bis die Antwort endlich im Display erscheint und wenn dann ein Treffpunkt ausgemacht ist beginnt das Gedankenkarussel, der Magen dreht sich, dir wird warm und kalt zugleich.

Ich steige ins Auto, ziehe meine Bluse glatt, stelle den Rückspiegel ein und betrachte mich. Ich atme tief durch, starte den Motor. Noch während ich rückwärts aus dem Hof fahre gehen mir siebenhundertneununddreißig verschiedene Dinge durch den Kopf. Der lauteste Gedanke : "Ich habe Angst". Wie wird er reagieren, was wird er sagen, wie geht das aus, wie stehe ich hinterher da, was, wenn das alles kaputt macht. Ich schalte vom vierten in den fünften Gang und gebe wahrscheinlich etwas mehr Gas als nötig, mein ganzer Körper steht unter Strom. 17 Minuten zeigt das Navi an und mit jedem Meter den ich fahre verlässt mich ein Stück Mut das ich mir so mühsam erarbeitet habe in den letzten Tagen, oder eher eingeredet. Ich drehe die Musik lauter, versuche meine Gedanken zu übertönen, nicht auch noch den letzten Funken Mut zu verlieren.
Ich bin da, 10 Minuten zu früh. Mein Herz springt mir gleich aus der Brust, ich verschicke kurze Sprachnachrichten mit Hilferufen an zwei meiner engsten Freunde. Plötzlich klingelt mein Handy. "Ja?" - "Hey, komm wieder runter!" - "Wie denn, ich habe das Gefühl, ich stehe kurz vor einem Herzinfarkt!" Lachen am anderen Ende der Leitung "Ach, du machst dir wieder viel zu viele Gedanken du wirst sehen, alles wird gut" - "ER KOMMT" brülle ich geschockt ins Telefon "OH, okay dann viel Glück, ich drück dir die Daumen und melde dich!" aufgelegt. Mein Magen verkrampft sich, ich bin wieder allein. Allein mit meinen Gedanken, allein mit der Situation. Ich atme so gut es geht durch und steige aus, laufe die letzten Meter zum Treffpunkt und sehe ihn schon von Weitem da sitzen. Er bemerkt mich noch nicht, ich betrachte ihn. Er sieht genauso gut aus wie immer. Plötzlich muss ich lächeln, mir wird anders warm als noch eben, dann treffen sich unsere Blicke. Er fixiert mich, steht auf, kommt auf mich zu. "Hello" rufe ich nervös lächelnd, obwohl er noch mindestens fünf Meter von mir entfernt ist, dann umarmen wir uns.

Eine Stunde, einen langen Spaziergang und ein tiefsinniges Gespräch später stehen wir wieder an der selben Stelle und verabschieden uns. Ich weniger nervös, er sichtlich entspannter und jetzt lächeln wir sogar beide, weil wir uns durch das Gespräch nicht wie erwartet entfernt sondern eher angenähert haben, weil wir die Karten auf den Tisch gelegt haben, weil endlich nichts mehr unausgesprochen zwischen uns in der Luft hängt. Mir geht es, jetzt nach all den mühsam ausgesprochenen Worten, besser auch, wenn ich noch nicht weiß, ob ich viel mehr weiß als vorher. Mein Kopf dreht sich nicht mehr so, mein Magen hat sich beruhigt. Mit jedem Schritt den wir gegangen sind wurde ich ruhiger. Man sollte öfter solche Gespräche führen. Die für die man zwar eine Menge Mut braucht, nach denen es einem jedoch besser geht.

Und die Stimme am anderen Ende der Leitung hatte recht, es wurde alles gut. Zwar anders als erhofft, jedoch besser als erwartet.

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